Indirekte und langfristige Effekte
Obwohl Finanzinstitute auf die Handhabung finanzieller Risiken spezialisiert sind, sind die nichtfinanziellen Aspekte der Wertschöpfungskette dennoch wichtig für die Risikobewertung. Ein Teil davon ist die Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken, deren Bedeutung zunehmend wahrgenommen wird. Nachhaltigkeitsrisiken betreffen gemäß der Definition der BaFin:
„Ereignisse oder Bedingungen aus den Bereichen Umwelt (E = Ecological), Soziales (S = Social) und Unternehmensführung (G = Governance), deren Eintreten tatsächlich oder potenziell negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie auf die Reputation eines Finanzinstituts haben können.“ (vgl. Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, 2020).
Die ökologische Nachhaltigkeit wurde insbesondere durch das Pariser Klimaabkommen (2016) in den Fokus gerückt. Um das Ziel dieses Abkommens, eine globale Erwärmung von unter 2°C bis zum Jahr 2050 zu erreichen, werden neue staatliche Umweltschutzvorgaben folgen, die einige Branchen vor enorme Herausforderungen stellen werden. Überhaupt nimmt die Bedeutung ökologischer Nachhaltigkeit zu, beispielsweise wegen der Ablösung umweltschädlicher Technik, einer Tendenz zu höherer Nachfrage nach nachhaltigen Produkten sowie Häufigkeit und Schwere von Umweltkatastrophen.
Das ökologisch nachhaltige Verhalten einer Bank hängt zum Beispiel direkt von der Energieeffizienz der Zentrale oder der Auswahl von Fahrzeugen für Dienstfahrten ab. Nachhaltigkeit im ökologischen Sinn betrifft Banken jedoch im Wesentlichen indirekt, und zwar ist diese für die Kunden der Bank aus verschiedenen Branchen von großer Bedeutung. Einerseits können die ökologischen Nachhaltigkeitsrisiken der Unternehmen, die als Kreditnehmer der Bank auftreten, auf das Kreditrisiko der Bank durchschlagen. Damit wird die Ertragslage beeinträchtigt. Andererseits kann die Reputation der Bank in der Öffentlichkeit davon abhängen, wie Kapitalflüsse gelenkt werden und in welchen Branchen und mit welchen Unternehmen Geschäftsbeziehungen bestehen.
Die potenziellen Auswirkungen fehlender ökologischer Nachhaltigkeit auf das Kreditrisiko oder das Reputationsrisiko der Bank treten eher zu einem späteren Zeitpunkt ein. Demgemäß sind diese bei einem langfristigen Blick auf das Risikoprofil zu beachten. Dieser langfristige Blick ist meist deshalb erforderlich, weil Entscheidungen im Kreditgeschäft häufig langfristige Festlegungen sind. Kreditbearbeitungsprozesse sollen folglich ökologische Nachhaltigkeitsrisiken des Kreditnehmers einbeziehen. Insbesondere besteht Bedarf für eine Überprüfung von Kreditantragsverfahren im Hinblick auf angemessene Bewertung und Berücksichtigung von ökologischen Nachhaltigkeitsrisiken.
Dieser Artikel spricht wesentliche Fragen an, wie Kreditantragsverfahren diesbezüglich im Einklang mit Geschäftsstrategie und Risikoneigung zu überprüfen sind.
Im Hinblick auf die Offenlegung von Nachhaltigkeitsrisiken und die Behandlung von Nachhaltigkeitsrisiken im Zusammenhang mit Risikotragfähigkeit und Kapitalplanungsprozess sei auf die folgenden Artikel verwiesen:
Status Quo zur Offenlegung von ESG-Risiken
Herausforderungen im Umgang mit ESG-Risiken
Regulatorischer Rahmen im Kreditgeschäft
Regulatorische Veröffentlichungen zu ökologischer Nachhaltigkeit
Es liegen mittlerweile diverse Veröffentlichungen deutscher und europäischer Regulatoren vor, die den Umgang mit Fragen der Nachhaltigkeit auch im Rahmen des Kreditvergabeprozesses ansprechen:
- EBA: Leitlinien für die Kreditvergabe und Überwachung, 2020
In den Leitlinien für die Kreditvergabe und Überwachung der EBA werden insbesondere ökologische Nachhaltigkeitskriterien als Bestandteil von internen Richtlinien für Risikomanagement und Kreditrisiko angesehen. Insbesondere sind im Kreditgeschäft ökologische Nachhaltigkeitsrisiken und deren Auswirkungen auf die Finanzlage von Kreditnehmern einzuschätzen. Weiterhin enthalten die Leitlinien der EBA die Anforderung, die rechtlichen Risiken in Verbindung mit Nachhaltigkeit und deren Auswirkungen auf die Werthaltigkeit von Vermögenswerten des Kreditnehmers zu betrachten. Die Leitlinien stellen für significant institutions (SI) den Rahmen zur Einbindung von Nachhaltigkeitsbewertungen in den Kreditvergabeprozess. Es wird erwartet, dass für less significant institutions (LSI) die Inhalte dieses Standards in die kommende MaRisk-Novelle übernommen werden.
- BaFin: Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, 2020
Ähnlich wie die EBA äußert die BaFin, bei der Kreditvergabe „sollten die relevanten Informationen zu möglichen Nachhaltigkeitsrisiken der Vertragspartner bzw. der Investitionsobjekte identifiziert, analysiert und in die Entscheidungsprozesse eingespeist werden“ (Tz. 5.6).
- EZB: Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken, 2020
Im Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken der EZB wird formuliert, dass die Kosten aufgrund ökologischer Nachhaltigkeitsrisiken von Kreditnehmern wie andere relevante Kosten in der Preisgestaltung für Kredite widerzuspiegeln sind.
Diese Verweise auf regulatorische Veröffentlichungen bestätigen offiziell, dass sich die Betrachtung von Nachhaltigkeitsrisiken im Allgemeinen beziehungsweise ökologischen Nachhaltigkeitsrisiken im Besonderen in Kreditvergabeprozessen wiederfinden soll. Insbesondere die Identifizierung von Risiken, deren Analyse, die Einbettung in die Entscheidungsprozesse sowie die Kreditzinsgestaltung sind hervorzuheben.
Neben den aufsichtlichen Vorgaben auf internationaler und nationaler Ebene werden nahezu täglich neue Vorgehensweisen zur Identifikation von nachhaltigen Tätigkeiten und deren Einwertung veröffentlicht
Nachhaltigkeitsidentifikation: EU-Taxonomie
In den Leitlinien für die Kreditvergabe und Überwachung der EBA wird die Bereitstellung einer Liste angesprochen, um Projekte und Aktivitäten zu bestimmen, die für eine ökologisch nachhaltige Kreditvergabe infrage kommen. Die interne Erstellung einer solchen Liste in einer Bank, wie auch die Frage, ob eine bestimmte Branche als nachhaltig eingestuft wird, würde auf individuellen Vorstellungen bezüglich der Nachhaltigkeit basieren. Dies hätte zur Folge, dass das einheitliche Ziel, eine globale Erwärmung von unter 2°C bis zum Jahr 2050 zu erreichen, nicht verfolgt, kontrolliert und kommuniziert werden könnte.
Die im Jahr 2020 veröffentlichte EU-Taxonomie,
- Verordnung (EU) 2020/852 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088,
bietet unter diesen Umständen einen Standard, der dem europäischen Konsens entspricht. Diese ist anwendbar zur Identifikation nachhaltiger Investitionen und Kreditengagements. Die Einordnung beruht auf drei Grundpfeilern:
1. Umweltschutz: Zur Definition des Begriffs der ökologischen Nachhaltigkeit hat die EU eine Liste mit der Einordnung von Wirtschaftstätigkeiten erarbeitet. Vorerst werden damit vor allem zwei Umweltziele, nämlich der Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel, abgedeckt. Vorschriften zu den weiteren Zielen 3-6 werden für 2023 erwartet. Diese werden dann Nutzung und Schutz von Wasserressourcen, Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung und Biodiversität betreffen.
2. Festlegung zur Nichtschädigung angrenzender Umweltziele (DNSH = do no significant harm): Anschließend an den ersten Punkt hebt die EU hier hervor, dass wenn eine Wirtschaftstätigkeit bezüglich eines Umweltziels nachhaltig ist, dann soll diese keine negative Auswirkung auf ein anderes Umweltziel haben. Mit einem aktuell zur Debatte stehenden Beschluss sollen diese Wirtschaftstätigkeiten um nukleare und auf Erdgas basierende Energiegewinnung erweitert werden.
3. Einhaltung international anerkannter Standards (z. B. von der OECD): Bezüglich Umweltzielen. Nachhaltige Tätigkeiten sollen Ziele in Verbindung mit sozialer Nachhaltigkeit respektieren.
Mit der Festlegung dieser Standards ist der erste, aber noch nicht abschließende Rahmen zur Identifikation nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten gestellt. Aufgrund der dynamischen Rahmenbedingungen (Kriterien zur Identifikation) und eventuell fehlender detaillierter Daten über die Tätigkeiten von Unternehmen stellt die Verwendung aktuell eine Herausforderung für Banken dar.
Datenquellen im Zusammenhang mit ökologischer Nachhaltigkeit
Eigene Beschaffung einer Datengrundlage in Banken
Von Unternehmenskunden einer Bank werden nicht nur die mit Blick auf finanzielle Risiken wesentlichen Unterlagen wie die Bilanz verfügbar gemacht, sondern auch Informationen im Zusammenhang mit ökologischer Nachhaltigkeit. Hierzu gehören Dokumente wie Nachhaltigkeitsberichte, die vom Kunden unabhängig vom konkreten Kreditbedarf zusammengestellt und veröffentlicht werden.
Die Offenlegungsvorgaben der EU-Taxonomie (Art. 8) beinhalten, dass die Unternehmen, die nichtfinanzielle Angaben nach Artikel 19a oder Artikel 29a der Richtlinie 2013/34/EU veröffentlichen müssen, auch zu Angaben bezüglich ökologischer Nachhaltigkeit ihrer Tätigkeiten in der Lage sind.
Unternehmen, die unter die Non-Financial Reporting Directive (NFRD) beziehungsweise zukünftig die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) fallen, unterliegen weitergehenden konkreten Anforderungen bezüglich der Offenlegung von Nachhaltigkeitsrisiken (wie in Abbildung 1 dargestellt). Wenn auf einer solchen Grundlage eine einheitliche Form verfügbarer quantitativer oder qualitativer Information herbeigeführt wurde, so wird dies im Hinblick auf die Datenerfassung und -aufbereitung im Rahmen der Kreditvergabe vorteilhaft sein.